nur ein weiteres Tagebuch

Monat: Juni 2022

30. Juni 22 – Hamburg Rückfahrt

Zwei Sachen können wir in Hamburg lernen: Erstens, die Haltezonen an den Informationstafeln unterscheiden sich von den Angaben in der App und unterscheiden sich von der Angabe auf der Bahnsteiganzeige. Zweitens, ein Zug fährt niemals pünktlich im Hauptbahnhof ab, weil er entweder kein freies Gleis vorfindet, oder tausende Reisende auf dem Bahnsteig hin- und her wechseln um ihren Wagen zu finden.

Mein Zug kommt aus Altona und steht vermutlich vor dem Hauptbahnhof unmotiviert rum, da der Zug nach Rostock einfach nicht abfahren will.

Ich mache es kurz. Der ICE fährt mit ungefähr zehn Minuten Verspätung ab. Ab diesem Zeitpunkt beginnt der Krimi in der App. Je nach Verspätungslage wird der Anschlusszug in Berlin Hauptbahnhof erreicht oder auch nicht. Ich rechne einfach mal damit ihn nicht zu erreichen und richte mich auf eine kleine Wartezeit in Berlin ein.

Bis etwa zehn Minuten vor der Einfahrt in den Bahnhof bleibt aber noch Hoffnung. Immerhin hält der Verbindungszug direkt gegenüber auf dem Bahnsteig. Unser Zugbegleiter tröstet uns noch beim Einfahren in den Hauptbahnhof, dass er uns aktuell informieren wird, ob wir unseren Anschluss erreichen können. Vermutlich stellt die Bahn nur professionelle Optimisten ein. Der arme Kerl kann in der verbleibenden Zeit nicht mal mehr die Zugnummer lesen, wir fahren nämlich schon auf Sicht.

Ich stehe an der Tür und lese die Schilder am Bahnsteig gegenüber. Unser Zug steht noch dran. Der Bahnsteig ist lang, unser Anschlusszug kurz, deshalb sieht man den Zug selbst nicht. Dann halten wir. Ich öffne die Tür, und mit mir springen gefühlt zweihundert Leute auf den Bahnsteig um in den fünf Schritte entfernten anderen Zug zu steigen, den man jetzt vor sich hat. Aber…

Er fährt davon. ER FÄHRT DAVON! Dieser verf*piiiiieeep*te Zug rollt tatsächlich bei unserem Eintreffen an und verschwindet im Dunkel des Ausfahrtstunnels. Uniformierte Bahnmitarbeiter sehen die Physiognomien der Zurückbleibenden und bringen sich in Sicherheit. Für ihre körperliche Unversehrtheit könnte in der Tat gerade niemand garantieren. Die heiße Welle der Wut liegt spürbar in der Luft.

Will der geneigte Leser noch den absoluten Clou erfahren?

Dieser IC, der den Berliner Hauptbahnhof pünktlich ver- und zig Reisende einfach zurücklässt, wird eine Minute später, bereits mit fünfzehn Minuten Verspätung für Dresden Hauptbahnhof angezeigt. Vermutlich ist zu diesem Zeitpunkt schon klar, dass er im Flughafen „Willy Brandt“ länger herumstehen wird. Dort steht er sowieso länger, er hätte also genauso gut im Berliner Hauptbahnhof fünf Minuten länger… Ach, egal.

29. Juni 22 Hamburg – Hinfahrt

Es ist wieder soweit. Nach einigen Monaten, in denen ich lediglich nach Berlin fahren musste, und in denen auf Grund der kurzen Strecke zwar Verspätungen auftraten, aber in der Tat nichts aufregendes passierte, steht heute wieder eine entferntere Fahrt an. (1) Nach Hamburg soll es gehen und ein Zeitlimit gibt es auch. Punkt 16 Uhr werde ich im Partnerbüro erwartet. Es ist ungefähr zwanzig Laufminuten vom Hauptbahnhof entfernt. Den Gang durch die Innenstadt habe ich mir als Wiedergutmachung für eine Übernachtung fern der Heimat eingeredet. Ich bin zwar regelmäßig in Hamburg, pendle dann aber meistens zwischen Messegelände und Hotel, oder besuche im Dunklen noch ein Restaurant, aber so richtig City ist da nicht zu besichtigen.

Elf Uhr zwei, Zeit, dass der Zug zum Einsteigen einrollt. Es ist der EC176, der aus Prag kommend mein Reisevehikel zum Hamburger Hauptbahnhof sein wird. Allein er kommt nicht. Kurze Durchsage: „Zehn Minuten Verspätung“. (Anm. des Autors: Bei dieser Zeitangabe müsste der Zug schon definitiv in der vorhergehenden Haltestelle stehen.)

Elf Uhr zwölf nichts, Elf Uhr zweiundzwanzig, Elf Uhr zweiunddreißig nichts…

Die angesagten zehn Minuten entspringen also wieder einmal dem festen Glauben der Bahn an ein Wunder. Wie ich das hasse. Wäre es nicht psychologisch viel schlauer dreißig Minuten anzusagen und dann fünf Minuten später doch da zu sein?

Wie immer, prüfe ich zwischendurch meinen Informationskanal zur Bahn. „Die App“ sagt mir, dass ich eigentlich schon in Richtung Berlin fahre, aber sie offenbart auch eine zusätzliche, interessante Neuigkeit. Mein Wagen mit reserviertem Platz und der Speisewagen (Ha!) sind nicht gar nicht zugegen, weil am Zug repariert werden mußte. Sie wurden irgendwo zurückgelassen.

Dann räuspert sich der Lautsprecher und meldet nach rund 60 Minuten Wartezeit, dass der EC jetzt einrollen wird.

Ich komme in einem dieser komischen alten Sechser-Abteile unter, denn der Großraumwagon fehlt ja. Boah, da werden Erinnerungen wach. Aber wir sind nur zu viert, also recht komfortabel untergebracht.

Beim ersten Zwischenhalt in Berlin-Südkreuz riecht es gewaltig nach Bremse, Hauptbahnhof auch, und erst in Spandau… Es scheint als wären die falschen Wagons zurückgelassen worden. Nun ja, die Geruchsattacken sind kurz und solange keine Flammen am Fenster hochschlagen, soll es mir egal sein.

In Berlin verlassen mich zwei Mitreisende. Sie haben recherchiert, dass man in Berlin in einen ICE mit Großraum- und Speisewagen wechseln kann. Umsteigezeit drei Minuten, sportlich! Ich habe meine Lektion schon gelernt und kann gut bis Hamburg durchhalten.

Ich möchte diesen Moment gleich nutzen, um geschäftsreisende Workoholics und Social-Media-Süchtige vorzuwarnen. Es ist mir bei mehreren Fahrten mit dem EC nach Hamburg und zurück, nicht geglückt eine funktionierende WLAN-Verbindung herzustellen. Vermutlich funktioniert die nur im Tschechischen. Dank der deutschen Online-Initiative „Neuland“ hat man zumindest in den Großstädten, also Dresden, Berlin und Hamburg ein Netz über den Mobilfunkbetreiber.
Ich bin vorbereitet. Zu redigierende Texte oder Protokollmitschriften liegen auf meiner Laptop-SSD und sind netzunabhängig bearbeitbar.

So vergehen die Stunden und wir fahren im Hauptbahnhof ein. Vor fünf Minuten ging meine Projektberatung los…


(1) Ich muss mich hier revidieren. Ich war seit April 2022 tatsächlich noch dreimal in Wiesbaden und einmal in Hamburg. Aber ich habe dazu keine Notizen. Im Frühjahr scheint es bei der Bahn also doch recht planmäßig beziehungsweise unaufgeregt zuzugehen.